Der RH überprüfte von Mai bis Oktober 2019 Rahmen- und Vertragsbedingungen in Zusammenhang mit dem umstrittenen Zulassungstest Med-AT. Geprüft wurde an den Medizinischen Universitäten Graz, Innsbruck und Wien, an der Universität Linz, der Universität Graz sowie im Bundesministerium; der überprüfte Zeitraum umfasste die Studienjahre 2013/14 bis 2018/19.
Das Ergebnis (Link zum 120-seitigen Originalbericht) ist überaus lesenswert und zeigt eine eindrucksvolle Ansammlung von Missständen und Verfehlungen der beteiligten Partneruniversitäten – auch die Verantwortlichen der MedUni Wien kommen hier nicht gut weg (rechtlich nicht gedeckte finanzielle Überweisungen durch die MedUni Wien, Nichtbeachtung des Urheberrechts etc.):
- Fehlen von Verträgen und Vereinbarungen
- Vergabe von Aufträgen ohne Ausschreibung
- gesetzlich nicht zulässige Zahlungen der MedUni Wien im Umfang von € 150.000.-
- Rechtlich nicht gedeckte Aufnahme von Studienwerbern durch die MedUni Innsbruck
- Qualitative Mängel an den Testfragen
- für den RH „nicht nachvollziehbare“ Kosten für die Erstellung von Testfragen: 3.000 EUR je Untertest je Universität sowie 6 EUR je StudienwerberIn (!)
Auffallend war die universitäre Reaktion auf das Aufzeigen qualitativer Mängel bei den Testfragen: auf diese gravierenden Vorwürfe an die Grazer Testentwickler (!) bemüßigte sich die MedUni Wien (!) zu einer Replik: es stünde (..) die Darstellung des Sachverhalts und die Beurteilung durch den RH nicht im Einklang mit den gebotenen wissenschaftlichen Standards und den Grundsätzen guter wissenschaftlicher Praxis.
Die nüchterne Antwort des Rechnungshofs darauf sollte man gründlich lesen: „Der RH gab in seinem Prüfungsergebnis wie auch im vorliegenden Bericht lediglich die Feststellungen des Institutsleiters wieder. Die Mängel zu den Testfragen stellte nicht der RH, sondern der Institutsleiter der Universität Graz selbst fest, obwohl er auch die Testfragen entwickelt hatte.“
Allgemeine Auszüge aus dem Bericht:
- Die Beschlüsse in den Sitzungen waren – insbesondere bei Tagungen der zuständigen Vizerektorinnen und Vizerektoren – nicht lückenlos dokumentiert
- Wesentliche Bestimmungen zum Testinhalt, zu den Gesamtkosten sowie zur Verrechnung von Leistungen füreinander bzw. mit externen Auftragnehmern fehlten.
- Die Medizinischen Universitäten Graz, Innsbruck und Wien sowie die Universität Linz interpretierten die Quotenregelung des Universitätsgesetzes 2002 in Bezug auf die Kontingentzuordnung verschieden und ordneten daher die Studienwerberinnen und –werber den Kontingenten unterschiedlich zu.
- In Einzelfällen bekamen Studienwerberinnen und –werber des Kontingents Nicht–EU einen Studienplatz, die den Aufnahmetest nicht einmal zu 20 % positiv absolviert hatten (..) In den Kontingenten Österreich und EU war zumindest ein Score von 75 % notwendig, um einen Studienplatz zu erhalten.
- Die Medizinische Universität Innsbruck ließ zusätzliche Studienwerberinnen und –werber zu, ohne eine entsprechende Regelung in ihren Verordnungen zu treffen. Dies erfolgte damit (..) ohne entsprechende rechtliche Grundlage
Fehlende Verträge und Kalkulationen
- Eine schriftliche Kooperationsvereinbarung schlossen die Universitäten erst im August 2015 ab, nachdem bereits ‘‘‘drei gemeinsame Aufnahmeverfahren‘‘‘ stattgefunden hatten. In dieser Kooperationsvereinbarung fehlten wesentliche Inhalte wie Bestimmungen zu den Testinhalten und zur Verrechnung von Leistungen füreinander.
- So verlangte die Medizinische Universität Graz z.B. für die Entwicklung der Testteile „Basiskenntnisse Medizinische Studien“ und „Textverständnis“ 10.000 EUR Fixkosten je Aufnahmetest. Sie rechnete für die Studienjahre 2013/14 bis 2015/16 Kostenersätze von rd. 290.000 EUR ohne schriftliche Vereinbarung mit den übrigen Universitäten ab
- Die Medizinischen Universitäten Graz, Innsbruck und Wien nahmen ab dem Aufnahmeverfahren für das Studienjahr 2013/14 wissenschaftliche Dienstleistungen von einem Institutsleiter der Universität Graz in Anspruch. Die Beauftragung dieser wissenschaftlichen Dienstleistungen erfolgte ohne Ausschreibung. Die Medizinischen Universitäten holten weder eine Schätzung des Auftragswerts noch Vergleichsangebote zur Prüfung der Preisangemessenheit ein. Die maßgeblichen Gründe für die Wahl des Auftragnehmers waren nicht schriftlich dokumentiert.
- Die Medizinischen Universitäten Graz, Innsbruck und Wien schlossen mit dem Auftragnehmer für die Studienjahre 2013/14 bis 2016/17 keinen schriftlichen Vertrag ab. Daher waren Nutzungs– und Verwertungsrechte der Testfragen, Fragen zur Geheimhaltung und Haftung nicht vertraglich abgesichert. Die Medizinischen Universitäten zahlten in diesen vier Jahren rd. 430.000 EUR ohne schriftlichen Vertrag an den Auftragnehmer. Sie schlossen erst im Jahr 2017 mit der Universität Graz einen unbefristeten schriftlichen Vertrag ab
- Dem Entgelt des Institutsleiters der Universität Graz lag keine Kostenkalkulation zugrunde. Die fixen Kosten von 3.000 EUR je Untertest je Universität sowie die variablen Kosten von 6 EUR je Studienwerberin und –werber konnten daher der Höhe nach nicht nachvollzogen werden. Vom Studienjahr 2013/14 bis zum Studienjahr 2018/19 erhöhten sich die fixen Kosten um rd. 75 % und die variablen Kosten um rd. 35%. Das Entgelt des Institutsleiters der Universität Graz von 221 EUR je Testfrage war um rd. 135% höher als das Entgelt der Medizinischen Universität Graz von rd. 94 EUR je Testfrage
rechtlich nicht zulässige Zahlungen
- Der Institutsleiter der Universität Graz legte für die Aufnahmetests der Studienjahre 2014/15 bis 2016/17 Honorarnoten in eigenem Namen und auf eigene Rechnung in der Höhe von 149.670 EUR unter Verwendung seiner privaten Bankverbindung an die Medizinische Universität Wien, obwohl es sich um ein Drittmittelprojekt gemäß § 28 Universitätsgesetz 2002 handelte, bei dem der Institutsleiter im Namen und auf Rechnung der Universität Graz Rechtsgeschäfte abzuschließen hatte.
- Die Medizinische Universität Wien überwies bei diesem Drittmittelprojekt dieses Entgelt für die Aufnahmetests der Studienjahre 2014/15 bis 2016/17 auf das Privatkonto des Institutsleiters, während sie im Studienjahr 2013/14 und in den Studienjahren 2017/18 und 2018/19 das Entgelt auf das Konto der Universität Graz bezahlte.
- Die für die Verwaltung und das finanzielle Controlling von Drittmittelprojekten an der Universität Graz zuständige Organisationseinheit Forschungsmanagement und –service hatte keinen Überblick über das jährliche Budget des Drittmittelprojekts „MedAT“. Die Ein– und Auszahlungen basierten auf keiner Kostenkalkulation oder Erlösvorschau. Dadurch fielen der Universität Graz die fehlenden Zahlungen der Medizinischen Universität Wien für die Aufnahmetests der Studienjahre 2014/15 bis 2016/17 von 149.670 EUR nicht auf. Bei einer korrekten Verbuchung aller Kosten und Erlöse wies das Drittmittelprojekt „MedAT“ im Jahr 2018 einen negativen Saldo von rd. 10.000 EUR auf
mangelnde Qualität des Testverfahrens
- Bei den Testfragen für die Testteile „Kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten“ sowie „Soziale und Emotionale Kompetenzen“ des Institutsleiters der Universität Graz war kein Peer–Review–Prozess vorgesehen. Dabei ergab die Evaluierung dieser Testfragen Mängel hinsichtlich der Testgütekriterien „Objektivität“, „Reliabilität“ (Zuverlässigkeit des Tests) und „Validität“ (Gültigkeit). So waren Testfragen unverständlich oder zu schwierig, die Trennschärfe gering und die Zuverlässigkeit mangelhaft.
- Der beauftragte Institutsleiter der Universität Graz entwickelte die Testfragen für die Testteile „Kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten“ sowie „Soziale und Emotionale Kompetenzen“ und nahm die Qualitätssicherung vor. Für diese Testfragen führte er auch die psychometrische Evaluierung durch.
- Testteile des Institutsleiters der Universität Graz wiesen im überprüften Zeitraum durchgängig Mängel auf, die der Institutsleiter selbst in seinen Evaluierungsberichten feststellte. Die Analysen der Medizinischen Universität Graz bestätigten die Feststellungen in den Evaluierungsberichten des Institutsleiters
- Die Medizinischen Universitäten Graz, Innsbruck und Wien bezahlten rd. 20 % weniger Entgelt für den Aufnahmetest des Studienjahres 2014/15 aufgrund von Qualitätsmängeln der Untertests „Argumentieren“ und „Figuren zusammensetzen“; sie informierten das Ministerium über die Qualitätsmängel
Finanzgebarung
- Bei den Medizinischen Universitäten Graz, Innsbruck und Wien waren die Ausgaben für die Durchführung des Aufnahmeverfahrens für die Studien Human– und Zahnmedizin überwiegend höher als die Einnahmen. Der Universität Linz war es nicht möglich, die Einnahmen und Ausgaben umfassend zu erheben
- Hingegen stellte der Institutsleiter an die Medizinische Universität Wien Honorarnoten in eigenem Namen und auf eigene Rechnung aus, welche seine private Bankverbindung aufwiesen. Die Medizinische Universität Wien überwies – entgegen den Bestimmungen des Universitätsgesetzes 2002 – insgesamt 149.670 EUR inklusive Umsatzsteuer (in der Tabelle 12 grau markiert) auf das Privatkonto des Institutsleiters. Die für die Aufnahmetests zuständige Vizerektorin gab die Ausgangsrechnungen an der Medizinischen Universität Wien frei
- Die Zahlungen der Medizinischen Universität Wien für die Aufnahmetests der Studienjahre 2014/15 bis 2016/17 langten nicht an der Universität Graz ein. In Ermangelung eines Vertrags fiel der – für die Verrechnung der Zahlungen zuständigen – Organisationseinheit Forschungsmanagement und –service das Fehlen der Beträge in der Höhe von 149.670 EUR nicht auf
- In einer schriftlichen Stellungnahme vom August 2019 gab der Institutsleiter der Universität Graz gegenüber dem RH an, dass es sich bei den drei Honorarnoten aufgrund des Fehlens eines schriftlichen Vertrags um „Behelfslösungen“ gehandelt habe und er von den Richtlinien der Universität Graz das „Kleingedruckte“ nicht kannte
- Der RH wies ferner gegenüber der Medizinischen Universität Wien darauf hin, dass – in Ermangelung eines schriftlichen Vertrags – die Universität Graz erst im Zuge der Gebarungsüberprüfung des RH Kenntnis vom Fehlen des Betrags von 149.670 EUR erlangte
- Nach Ansicht des RH erlitt daher die Universität Graz – durch die direkten Zahlungen der Medizinischen Universität Wien auf das private Bankkonto des Institutsleiters – einen Vermögensschaden.
Kommentare
d.h. während bei uns die Finanzabteilung Rechnungen beanstandet, wird mit dem ok der Vizerektorin für Lehre (und das schreibt der RH explizit) jede Regel und jede gesetzliche Vorgabe außer Kraft gesetzt?
Das ist bedenklich.
Und, wenn ich die Jahre richtig zurückzähle offenbar auch ein Sittenbild, da es offenbar die aktuelle Vizerektorin wie auch ihre Vorgängerin betrifft...
welche bemerkenswerte "Rechtfertigung" von Arendasy: ich habe das Kleingedruckte nicht gelesen.
Das ist fast so gut wie "ich habe keinen eigenen Computer" und "das ist mir nicht erinnerlich"
Unfassbar.
Und wenn wir über unser eignes eingeworbenes Geld frei verfügen wollen (um einen Mitarbeiter einen Bonus zu zahlen, um wo hin zu fahren etc etc) wird jedesmal ein "Affentheater" gemacht.
Geld welches ich verdiene sollte ich frei ausgeben dürfen. Und mich nicht dafür rechtfertigen müssen.
Da wird bei uns im Haus im Gegensatz zur Hauptuni einiges massiv missverstanden. Jedenfalls würde sich das keineJus Professor oder auch kein WU Professor gefallen lassen (Vorteil dieser ist natürlich - erstere sind Juristen, zweitere zumeist zumindest Wirtschaftsjuristen).
Und wenn ich so viel verdienen sollte um mir ein Auto zu kaufen, habe ich das Geld mit einen oder mehren Drittmittelprojekten dennoch verdient.
Das einzige was mit der Finanzabteilung leicht geht, ist es Assistenzärzte zu bezahlen (weil da spart sich die MUW ja Geld) und der sogenannte kleine Sachgüteraufwand (bis 1500 Euro). Ein wirklich tolles Laptop ist aber bei lezterer Summe auch nicht drinnen. Aber wenigsten kann man jetzt als "Bonus/Gratifikation/Belohung" Mitarbeitern einen sehr schönen Stift von z.b. Montblanc schenken...
Alles Sehr skurril...