Ärztekammer gegen MUW. Das ist Brutalität.

Dazwischen: der Mittelbau, aufgerieben.

Beim morgendlichen Weg zur Arbeit, der über die Spitalgasse führt, wurde mir von einem jungen Mitarbeiter der Ärztekammer ein Flugzettel in die Hand gedrückt, und ich daran erinnert, dass in wenigen Minuten hier die Betriebsversammlung starte.
Nun ist die Katze also aus dem Sack. Nachdem man in den vergangenen Jahren noch tunlichst vermieden hat, die finanziellen und infrastrukturellen Zuwendungen der Ärztekammer an unserem Betriebsrat auch als solche zu deklarieren, man gleich mehrere Fraktionen in die Betriebsratswahl geschickt (fein säuberlich aufgeteilt in Listen für das Junior- und das Senior-Personal) und diese auch gewonnen hat, ist nun Schluss mit der Geheimniskrämerei. “Personal-Raubbau heißt Medizin-Abbau” steht auf den Jacken des durch unsere Pflichtbeiträge finanzierten Demo-Personals. Eine Woche zuvor äußerte sich der Vorsitzende des Betriebsrates im Fernsehen wortwörtlich:

“Die große Problematik ist hier, dass die Universität nur begrenztes Interesse daran hat die Patientenversorgung zu finanzieren, und wenn hier sozusagen eine Möglichkeit besteht, Patientenversorgung und Leistung für die Patienten in irgendeiner Form einzuschränken und mehr universitäre Leistungen zu finanzieren, wird es derzeit eben in Anspruch genommen.”

Ja, sapperlot! Diese Universität will ihre Mittel einfach auf universitäre Leistungen konzentrieren und nicht länger für die Primärversorgung der Wiener Bevölkerung geradestehen müssen? Ist ja unerhört!
Und nun sind wir genau bei der Diskussion angelangt, die wir eigentlich führen sollten, und vor der man sich jedoch seit Jahrzehnten drückt. Wie etwa die Beantwortung folgender Frage: Welche Rolle soll ein Universitätsspital in der PatientInnen-Versorgung übernehmen, insbesondere in Zeiten von nicht bodenlosen Budgettöpfen? Ist es die Primärversorgung – also die 24/7 offene Türe für den zu Fuß oder per Rettung hereinfließenden PatientInnenstrom, ohne Einfluss auf Steuerung (z.B. durch ein kompetentes, ärztliches Triagesystem)? Oder ist es eine letztlich nur überregional anzubietende Spitzenmedizin von Transplantation bis zur Tiefen Hirnstimulation, im Sinne eines tertiären Referenzzentrums, ausgestattet mit der Kompetenz PatientInnen mit basis-medizinischen Versorgungs-Anliegen an umliegende Gemeindespitäler und den niedergelassenen Bereich weiterzureichen, wo die Abklärung und Versorgung um nichts schlechter, dafür um einen Bruchteil der Kosten angeboten werden kann.
Durch das konsequente Drücken vor dieser Frage wurde diese bereits längst beantwortet und die Entscheidung getroffen: Ganz im Interesse der Stadt Wien wird durch eben jene open-door policy alles das aufgefangen, was im niedergelassenen Bereich und im restlichen KAV falsch läuft. Nur wir, als klinischer Mittelbau, ermöglichen es paradoxerweise durch unseren rund-um-die Uhr Einsatz, dass Kassen-Ordinationen nicht mehr nachbesetzt werden, dass es weiterhin unmöglich ist, in den Abendstunden oder am Wochenende offene Ordinationen anzutreffen und rasche Facharzt-Termine zu bekommen. Und wir gehen auf die Straße, dass doch bitte all dies so bleiben möge. Durch die explizite Nicht-Reduktion der Routine-Versorgung nach Implementierung der Betriebsvereinbarung ist genau das Szenario eingetreten, welches die Stadt Wien in der ersten Reihe fußfrei genüsslich beobachtet. Nämlich die Umverteilung hin zur eben nicht reduzierten Routine-Versorgung, weg von der Wissenschaft, der Lehre und letztlich auch der Spitzen-Medizin. Spezialambulanzen wurden geschlossen, um die Allgemein-Ambulanz am Laufen zu halten. Zu behaupten, dass durch die Stunden nach dem Nachtdienst nun endlich die Wissenschaft in der Arbeitszeit einen Platz gefunden hat, ist eine Verhöhnung all jener, die an sich den Anspruch stellen, klinische Forschung auf Exzellenz-Niveau zu betreiben.
Dass die aktuelle Dienst-Reduktion ohne Konzept und zutiefst unglücklich erfolgte steht außer Zweifel, ebenso dass auch hier wieder das Pferd von hinten aufgezäumt wird. Jedoch sich von der Kammer nun den Beton anrühren zu lassen, und zu hoffen dass sich die Situation für die Wissenschaft und die Lehre bessert, ist im besten Fall naiv.
Der Rektor wird naturgemäß von den von ihm angestellten Primarii und dem ärztlichen Personal nur bedingte Kooperation erwarten können, da jene auch einem zweiten Dienstherren unterstehen. Und es ist ebenso zu erwarten, dass der Herr Bürgermeister, nun kräftig unterstützt durch die Wiener Ärztekammer und dem von ihr finanzierten MUW-Betriebsrat, hier am längeren Ast sitzen. Dazwischen aufgerieben sind all jene, für die die Wissenschaft karrierebestimmend ist, die parallel zu ihrer Ausbildung PhD-Studien zu absolvieren haben, sich mühen Publikationen zusammenzubekommen um ihre Chance auf Verlängerung nicht zu verspielen, und jene mit zu erfüllender Qualifizierungsvereinbarung.
Wenn Beton schon nicht der richtige Weg ist, wie manövrieren wir uns sonst aus dieser Situation heraus? Die Zeit ist nun mehr als überfällig, die Stadt Wien hier in die Pflicht zu nehmen. Ist es aus Sicht des Steuerzahlers nicht nur absurd, ja sogar ein Hohn gegenüber allen anderen öffentlichen Universitäten, dass hier ein dreistelliger Millionenbetrag aus dem Wissenschaftsbudget in die medizinische Basis-Versorgung Wiens, in Teilen sogar die des Burgenlands und Niederösterreichs fließt? Wo diese doch in Wiener Gemeindespitälern mit ident hoher Qualität, dafür umso billiger zu haben ist?
Wenn der Rektor selbst zu wenig politisches Gewicht in die Waage legen kann, und offensichtlich hier aufgrund des Interessenskonflikts der Primarii auf deren Unterstützung nicht zählen kann, muss der Ball eben retour an das Ministerium gespielt werden. Es muss eingestanden werden, dass eine grundlegende Reform von innen aufgrund der Doppel-Dienstherrschaft und der dadurch bedingten massiven Befangenheit des eigenen handelnden Personals eben nicht möglich ist.

Ass.Prof. Priv.Doz. Dr. Dietrich Haubenberger
Mitglied des Senats der Medizinischen Universität Wien