Ein interessantes Urteil fällte der oberste Gerichtshof in einem vor dem Handelsgericht begonnenen Rechtsstreit um die Weitergabe fremder Lehrinhalte – eine Thematik, der sich auch die MedUni Wien in Zukunft verstärkt stellen wird (müssen).
Die Ausgangslage im hier geschilderten Rechtsstreit: Eine WU-Studentin bezahlte bei einem "Lernanbieter" den Zugang zu vier Online-Kursen – zur Vorbereitung auf die Mathematikprüfung in der Studieneingangsphase.
Diese Inhalte bot die Studierende dann in zwei geschlossenen Facebook-Gruppen ihren KollegInnen unentgeltlich an.
Die betroffene Firma klagte, sie habe aufgrund des Verhaltens der Studierenden einen drastischen Umsatzrückgang erlitten; in der Folge wurde die Studierende wegen Verletzung von Urheberrechten und des abgeschlossenen Vertrags zur Zahlung von 15.000 Euro Schadenersatz verurteilt.
So weit, so plausibel. Allerdings: die klagende Firma hatte gar kein Urheberrecht an den Unterlagen sondern die Inhalte aus einer universitären Vorlesung ungefragt "übernommen".
Der Geschäftsführer der Firma hatte ein Video erstellt, in dem er 260 Mathematikbeispiele durchrechnete – unter Verwendung einer Formelsammlung und zwei Tabellen der WU. 90 Prozent von Text und Schrift sowie die gesamten Lehrinhalte wurden hierbei von zwei WU-Professoren "übernommen". Diese hatten im Wintersemester 2002/03 im Auftrag der Hochschülerschaft (ÖH) Live-Kurse angeboten und der Weitergabe dieser Inhalte (ebenso wie die WU) nicht zugestimmt.
Das Handelsgericht Wien befand, dass sich die klagende Firma nicht auf Verletzung des Urheber- oder Leistungsschutzes berufen könne - es handle sich bei den angebotenen Inhalten um keine eigentümlichen geistigen Schöpfungen.
Jedoch: die Firma habe die Videos selbst erstellt und habe demnach ein Recht auf Unterlassung sowie Schadenersatz. Dies wurde vom Oberlandesgericht Wien – und letztlich dem Obersten Gerichtshof - bestätigt.
"Ein möglicher Eingriff der Firma in Urheberrechte der ÖH oder deren Mitarbeiter sei nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Es gehe nur um das Verhältnis zwischen dem Unternehmen und der Studentin"
05. January 2022, um 07:22
Kommentare
I really like this story!
Ich hoffe die WU klagt nun den Lernabieter.
Ich würde gleich eine in der Wirtschaftswelt so beliebte Klage mit "punitiv intent" durchführen, dann verschwindet dieser skandalöse Anbieter vom Markt und der Geschäftsführer ist gleich einmal im Privatkonkurs.
Tja, in der freien Wirtschaft ist der Wind sehr raus. Willkommen im wirklichen Leben...
@Gerit: Du sprichst mit Deiner Hoffnung, dass die WU den Lernanbieter klagt, einen sehr wesentlichen Punkt an: was ist hier die Rolle einer (auch unserer) Universität? Verteidigt sie aktiv die Rechte Ihrer Lehrerinnen und Lehrer oder ist sie zufrieden damit, dass die eigenen Lehrenden etwas für die eignen Studierenden "abgeliefert" haben und der Rest interessiert die Universität nicht?