"Die Zeit" veröffentlicht (auch in ihrer Online-Ausgabe) im Rahmen einer Artikelreihe anlässlich des 650 Jahr-Jubiläums der Universität Wien einen geschichtlichen Rückblick auf die Geschichte der Studentenschaft und der Universität.
Allerlei Interessantes kann man hier erfahren - so, dass von der Universität eigene Truppen aufgestellt wurden (Türkenbelagerung, Dreißigjähriger Krieg), welche vom Rektor persönlich in den Kampf geführt wurden.
Damit nicht genug: Die Universitätsangehörigen zahlten keine städtischen Steuern bzw. Zölle und unterstanden auch nicht der städtischen Gerichtsbarkeit - sondern der Gerichtsbarkeit des Rektors (!).

Über die Jahrhunderte hinweg unterlagen Studierende der Gerichtsbarkeit des Rektors. Er konnte sogar zum Tode verurteilen. Bei den Bürgern der Stadt sorgten die Privilegien der Hochschule für Unmut.

Der Tumult am Fronleichnamstag des Jahres 1513 begann vor einem Bordell. Auslöser war ein Kleidungsstück. Studenten der Universität Wien waren verpflichtet, ein Cingulum zu tragen, einen einfachen Gürtel, mit dem sie sich von den Graduierten unterschieden. Er war rasch zu einem Symbol für einen niederen sozialen Rang geworden. Die Scholaren trugen ihn nur widerwillig.

Auch ein paar Weingartenarbeiter trieben sich in der Nähe des Widmertors herum. Mit ihnen hatte es schon früher Streit gegeben. Vermutlich wurden die Studenten aber wegen des Cingulums verspottet. Es kam zu einem Raufhandel und daraufhin zu Unruhen, die sich über die ganze Stadt ausbreiteten. Der Stadtrichter schritt ein und fachte den Konflikt damit noch weiter an. Denn Universitätsangehörige waren seinem Zugriff entzogen, sie unterstanden einzig und allein der Gerichtsbarkeit des Rektors – der konnte selbst die Todesstrafe verhängen.

Im 15. Jahrhundert waren fünf Prozent der Wiener Gesamtbevölkerung Universitätsangehörige, neben den Studierenden und Lehrenden zählten dazu auch Dienstboten, Notare, Bildhauer, Universitätstanzlehrer und Fechtmeister. Die Matrikelbücher waren nicht nur ein Verzeichnis der Immatrikulierten, sondern auch Bürgerbücher. Wer dort eingetragen war, zahlte keine städtischen Steuern, Zölle oder Mauten. Den Bürgern waren die akademischen Privilegien ein Dorn im Auge, vor allem weil die Studenten als Störenfriede verrufen waren. Immer wieder kam es zu Exzessen, Schmierereien an Fassaden, zu nächtlichen Saufgelagen, aber auch zu großen Schlägereien und bewaffneten Auseinandersetzungen.

Ihren raschen Aufstieg verdankte die Universität Wien dem Umstand, dass sie zu den preiswerten Hochschulen gehörte. Die Immatrikulationsgebühren waren für weniger begüterte Studenten erschwinglich. Mehr als die Hälfte zahlte eine verringerte Gebühr oder war völlig befreit. Studieren war noch kein Privileg der Oberschicht.

Wer zum Studium nach Wien kam, lebte üblicherweise in einer Burse oder einer der Koderien, in denen die armen Studenten untergebracht waren. Wer sich eine private Unterkunft organisieren wollte, benötigte die Zustimmung des Rektors. Er hatte laut den Statuten der Universität die Studentenhäuser zu inspizieren.

Studenten mussten seit dem Wintersemester 1384/85 klerikale Kleidung tragen. Ihr Tagesablauf war klar geregelt: Nach der Frühmesse fand um sechs Uhr die erste Vorlesung statt. In den Bursen herrschten strenge Hausordnungen, wer sie übertrat, konnte seinen Platz verlieren. Besonders schwer wog, Frauen einzuschmuggeln. In den Statuten der Artistenfakultät wurde ausdrücklich das Lachen, Murren, Pfeifen und Schreien während der Vorlesungen untersagt.

De jure umfassten die vom Rektor behandelten Fälle die ganze Bandbreite des Zivil- und Strafrechts. In der Praxis wurden betroffene Studenten aber meist einfach aus der Hochschule ausgeschlossen.

Nur vereinzelt sind Fälle überliefert, in denen von der Universität schwere Strafen verhängt wurden. Im Jahr 1704 wurde der Student Anton Straub in St. Pölten wegen Diebstahls zum Tod am Galgen verurteilt. Die Universität erhob Einspruch, da sie das als Verstoß gegen die eigene Gerichtsbarkeit ansah. Sie verhandelte den Fall neu und Rektor Jakob Freyssing verurteilte Straub zur Hinrichtung durch das Schwert. Die Exekution am heutigen Ignaz-Seipel-Platz war bereits vorbereitet, als ein Begnadigungsschreiben des Kaisers eintraf. Straub musste nur mehr eine fünfjährige Festungshaft absitzen.

Die Ausschreitungen von 1513, die beim Puff begonnen hatten, gerieten bald außer Kontrolle. Die Studenten beharrten darauf, dass der Stadtrichter ihnen nichts anhaben könne, und forderten zudem, das Cingulum ablegen zu dürfen. Dem wurde nachgegeben, was die Professorenschaft auf die Barrikaden trieb. Denn damit verschwand der sichtbare Unterschied zwischen Lehrenden und Studierenden.

Der Konflikt loderte ein Jahr, mittlerweile war es Sommer 1514 geworden. Viele der aufmüpfigen Scholaren wurden aus den Bursen vertrieben, einige von ihnen hatten sich bewaffnet. Der Stadtrichter soll Knechte angeheuert haben mit dem Auftrag, Studenten zu töten. Städtische Garden besetzten das Kolleg und zwangen mehrere Hundert Scholaren zum Abzug aus der Stadt. In Wels oder Gmunden trafen sie auf Kaiser Maximilian I. Sie übergaben eine Petition, in der sie sich über den brutalen Stadtrichter beschwerten, der eine regelrechte Hetzjagd gegen sie betrieben habe. Eine kaiserliche Untersuchung sollte Licht in die Vorgänge bringen. Ihr Ergebnis ist nicht überliefert.

Nur wenige der Rebellen kehrten nach Wien zurück, viele mussten die Universität verlassen. Die Auseinandersetzungen wurden als Bellum Latinum bekannt. Erst zwei Jahrhunderte später, im Jahr 1783, wurde die akademische Gerichtsbarkeit aufgehoben.