In einem Interview in der Tageszeitung „Der Standard“ kritisiert Gerard Meijer, Präsident der Nijmegener Universität, das Geschäft der großen Wissenschaftsverlage und das bestehende System in dem Universitäten und Wissenschafter für Forschungsergebnisse und Qualitätssicherung sorgen und genau dafür letztlich (nicht wenig) bezahlen, während die Verlage beträchtliche finanzielle Gewinne erzielen.
Als Konsequenz beabsichtigen die niederländischen Universitäten bis Jahresende alle Verträge mit Elsevier zu kündigen und keine Leistungen im Rahmen von Editorial Boards oder Peer Review mehr zu erbringen.

 

STANDARD: Sie fordern einen Kulturwandel im Geschäft mit wissenschaftlichen Arbeiten – warum?
Meijer: Die Wissenschafter haben das wissenschaftliche Publizieren zu sehr aus der Hand gegeben. Kommerzielle Verlage machen nun sehr große Gewinne damit. Das ist ein komisches Geschäft: Die Wissenschafter machen die Forschung, sie schreiben die Papers, sitzen in Editorial Boards, beurteilen die Papers von anderen Wissenschaftern und sorgen dafür, dass sie verbessert werden. Wenn dann aber dieselben Wissenschafter ihre eigenen Papers wieder lesen wollen, müssen sie den Verlagen Geld dafür bezahlen. Ein ehemaliger Präsident der holländischen Akademie der Wissenschaften hat das mit einem Supermarkt verglichen, wo man Produkte kauft, die man zuvor selbst gepflanzt und geerntet hat. Es ist wirklich merkwürdig, dass es so weit kommen konnte.

STANDARD: Sollten die wissenschaftlichen Verlage also gar keine Gewinne machen dürfen?
Meijer: Es ist nicht falsch, wenn ein Verlag Gewinne macht, es muss aber ein Geschäftsmodell dahinterstehen, das dauerhaft betrieben werden kann – sowohl für die Wissenschafter und Universitäten wie auch für die Verlage. Jetzt ist das System komplett außer Kontrolle geraten. Die Steuerzahler zahlen schon für die Forschung, es ist paradox, dass die Ergebnisse dann nicht für die Steuerzahler zur Verfügung stehen. Ich finde, wir sind dazu verpflichtet, unsere Ergebnisse offenzulegen. Das wollen wir mit Open Access erreichen, doch dafür muss das gesamte Businessmodell der Verlage geändert werden. Die Verlage machen momentan ein lukratives Geschäft, sie haben keine Lust, das aufzugeben. Ich bin mir aber sicher, dass sich das System in den nächsten Jahren radikal ändern wird.

STANDARD: Im Juni hat eine Studie gezeigt, dass aktuell fünf Verlage 50 Prozent der akademischen Publikationen kontrollieren. 1973 waren es 20 Prozent – warum hat man in den letzten Jahrzehnten nicht gegengesteuert?
Meijer: Diese Frage beschäftigt mich auch sehr, und ich verstehe nicht, wie es so weit kommen konnte. Wissenschafter sind ja nicht dafür bekannt, die dümmsten Menschen zu sein, aber bisher waren sie in diesem Gebiet nicht gut organisiert. Wissenschaft ist zwar international, aber jeder Wissenschafter ist auch Einzelkämpfer. Die Verlage hingegen sind große internationale Konzerne, die mit jeder Uni einzeln verhandeln. Wir wissen voneinander nicht einmal, was wir für dasselbe Produkt bezahlen: Die Verlage haben uns Geheimhaltungsklauseln unterschreiben lassen. Wir können nur dann an der Macht der Verlage rütteln, wenn sich große Wissenschaftsorganisationen gemeinsam organisieren.

STANDARD: Den niederländischen Unis ist es nun gelungen, auf höchster Ebene gegen die Verlage aufzutreten – wie funktioniert das?
Meijer: Mit 14 Universitäten haben wir in den Niederlanden einerseits wenige Unis, um eine gemeinsame Stimme abzugeben; andererseits sind wir mit 2,4 Prozent Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Journals groß genug, um ernst genommen zu werden. In den Niederlanden treffen sich alle 14 Uni-Präsidenten alle sechs Wochen, und in dieser Runde haben wir vereinbart, gemeinsam gegen die Verlage vorzugehen. Früher haben immer nur die Direktoren von den Unibibliotheken verhandelt, die weniger Macht haben als die Uni-Präsidenten. Im Moment ist es so, dass eine Forschungsuniversität wie die Radboud-Universität Nijmegen rund 1,5 Prozent des Jahresetats für wissenschaftliche Verlage ausgibt. Verlage wie Elsevier, Springer oder Wiley haben jährlich Gewinne von 40 Prozent – das ist eigentlich Forschungsgeld. Dass wir so viel für Verlage ausgeben, ist inakzeptabel.

STANDARD: Sie sind einer der Verhandler der niederländischen Unis gegenüber dem großen Wissenschaftsverlag Elsevier um niedrigere Preise und Open Access – wo stehen die Verhandlungen aktuell?
Meijer: Die Verhandlungen laufen noch, aber wir haben Elsevier schon offiziell mitgeteilt, dass wir mit Jahresende alle Verträge kündigen, wenn sie kein besseres Angebot machen. Die Verlage haben fast ein Monopol, deswegen kann man als Land nur verhandeln, wenn man sich gut auf einen Exit vorbereitet. In den Niederlanden haben wir im letzten Jahr alles dafür getan. Das hat Elsevier nie erwartet. Alle Unis sind vereint und bereit für den Ausstieg. Es wird schmerzhaft werden, aber unsere Wissenschafter werden das verkraften. Wenn wir ihnen sagen, wie viel Geld wir aktuell an Elsevier bezahlen, verstehen alle, warum es keinen anderen Weg gibt. Elsevier hat noch zwei Monate für ein neues Angebot, aber ich bin nicht sehr optimistisch.

STANDARD: Wollen Sie überhaupt eine Einigung, braucht es die großen Verlage noch?
Meijer: Wir würden gerne zu einer Einigung kommen, denn die Verlage haben auch Positives getan, wie etwa das Peer-Review-System aufgebaut. Sie sind einfach nur viel zu teuer. Das wissenschaftliche Publizieren kann lediglich unter Bedingungen ablaufen, die wir Wissenschafter festlegen. Und wenn es mehr kostet, dann müssen die Kosten transparent sein, doch momentan haben wir keine Einsicht. Das müssen wir bekommen, denn wir haben die Pflicht, zu erklären, was wir mit Steuergeld tun.

STANDARD: Wie viele Wissenschafter sind in den Niederlanden tatsächlich bereit zum Boykott, wenn es zu keiner Einigung kommt?
Meijer: Beim Boykott muss man verschiedene Ebenen unterscheiden: Einige hochkarätige Wissenschafter sind in Editorial oder Advisory Boards von Elsevier-Journals. Wir haben sie gefragt, ob sie bereit wären, zurückzutreten, wenn wir zu keinem Abkommen finden. An der Radboud-Universität Nijmegen haben 80 Prozent gesagt, dass sie zurücktreten würden. In den Niederlanden sind es im Schnitt mehr als 60 Prozent. Wir haben auch gefragt, wer noch Review-Tätigkeiten für Elsevier machen würde – fast keiner. Wissenschafter könnten weiterhin in Elsevier-Journals veröffentlichen, aber jeder muss bedenken, ob das der richtige Weg ist. Wie viele das tun würden, haben wir noch nicht erhoben.

STANDARD: Welche internationalen Initiativen gibt es gegen die Marktmacht der Verlage?
Meijer: Letzte Woche hat die League of European Research Universities ein Statement mit dem Titel "Christmas is over" veröffentlicht. Über 400 Wissenschafter und Institutionen haben das bereits unterschrieben. Der Titel sagt genau, wie die Gefühlslage unter den Wissenschaftern ist. Sie sind zornig, und langsam realisieren sie, dass sie sich besser organisieren müssen. Ich kann jedes Land nur dazu aufrufen, besonders auch Österreich, dasselbe zu tun wie wir in den Niederlanden, oder etwas Besseres. Die Verlage haben sehr viel verdient und sich wie unter dem Weihnachtsbaum gefühlt, das ist vorbei. Dass wir alle die Geheimhaltungsklauseln unterschrieben haben und nicht gemeinsam vorgegangen sind, ist Wahnsinn. Wir alle haben es getan. Das sollten wir radikal ändern und uns komplett verweigern.

STANDARD: Wie reagieren die Verlage darauf?
Meijer: Die Verlage drohen, vor Gericht zu gehen, auch mir ist das angedroht worden, wenn ich die Geheimhaltung verweigere. Ich fände das prima. Das wäre ein schöner Prozess, wenn man angeklagt wird, weil man offenlegt, wofür man Steuerzahlergelder benutzt. Ich würde gerne sehen, wer diesen Prozess gewinnt – da lasse ich es gerne drauf ankommen.

Originalinterview in Der Standard